Falls Sie es noch nicht gelesen haben, finden Sie hier den Link zum Sachverhalt und der Fragestellung:
Recht schlägt Hausverstand ➪ Abgabennachzahlung
Die wichtigsten Grundsätze zur Lösung dieses Falles sind:
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In der Sozialversicherung ist gemäß § 49 Abs 3 Z 2 ASVG die Schmutzzulage nur dann beitragsfrei, wenn
- sie aufgrund gesetzlicher bzw kollektivvertraglicher Bestimmungen gezahlt wird und
- sie nicht der Lohnsteuer (Einkommensteuer) unterliegt
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Damit die SEG-Zulagen lohnsteuerfrei abgerechnet werden können, müssen sowohl
- formelle Voraussetzungen als auch
- materielle Voraussetzunge
erfüllt sein.
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Die formelle Voraussetzung war im Prüfzeitraum zweifelsfrei erfüllt, da die Reparatur GmbH die Schmutzzulagen auf der Grundlage kollektivvertraglicher Bestimmungen gewährte.
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Materielle Voraussetzung: Unter Schmutzzulagen sind Zuwendungen für Arbeitsleistungen zu verstehen, die überwiegend unter Umständen erfolgen, die in erheblichem Ausmaß eine Verschmutzung (Verunreinigung) des Dienstnehmers und seiner Kleidung zwangsläufig bewirken (zB Arbeiten mit Teer, Arbeiten im Zusammenhang mit Tierkörperbeseitigung, Kesselreinigung, Verstaubung, Verschlammung, Arbeiten am Schlachthof). Auch diese Voraussetzung war im Prüfzeitraum erfüllt.
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Das Ausmaß einer SEG-Zulage muss angemessen sein (VwGH 17. 2. 1988, 85/13/0177, ARD 3973/6/88).
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Treu & Glauben: Die Reparatur GmbH hat eine § 90 EStG-Anfrage an das zuständige Betriebsstättenfinanzamt gestellt. Bei Anfragen dieser Art ist für den Treu & Glaubensschutz wichtig, dass
Stellt sich dann bei der PLB heraus, dass sich weder der Sachverhalt noch die Rechtslage (Gesetz, Rechtsprechung) im Vergleich zur Anfrage geändert haben, dann kann das Unternehmen darauf vertrauen, dass die Antwort des Betriebsstättenfinanzamtes auch bei der PLB „hält“ und der Prüfer akzeptieren muss, dass das Unternehmen gemäß der Antwort des Betriebsstättenfinanzamtes abgerechnet hat.
Im vorliegenden Fall wurde die § 90 EStG-Anfrage vom Betriebsstättenfinanzamt so beantwortet, dass
Da der Sachverhalt vollständig und wahrheitsgemäß dem Betriebsstättenfinanzamt geschildert wurde und sich weder der Sachverhalt noch die Rechtslage (Gesetz, Rechtsprechung) im Vergleich zur § 90 EStG-Anfrage geändert haben, wurde die Lohnsteuerfreiheit der 70% der SEG-Zulage bei der PLB anerkannt.
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Und jetzt kommen wir zur Auflösung, warum
A) das Unternehmen anlässlich der Prüfung trotzdem Abgaben (konkret: Sozialversicherungsbeiträge) nachzahlen musste und warum
B) der Titel dieses BLOG-Beitrages „Recht schlägt Hausverstand“ heißt.
Erst vor kurzem hat der Verwaltungsgerichtshof (VwGH Ro 2017/08/0004 vom 9. Juni 2020) wieder festgestellt, dass die ASVG-Befreiung für die Schmutzzulage (§ 49 Abs 3 Z 2 ASVG) trotzdem der Wortlaut auf die Steuerfreiheit im Einkommensteuergesetz verweist („Schmutzzulagen, soweit sie nach § 68 Abs. 1, 5 und 7 des Einkommensteuergesetzes 1988 nicht der Einkommensteuer(Lohnsteuer)pflicht unterliegen“),von den SV-Behörden gesondert – dh unabhängig von der Finanz und der Lohnsteuerfreiheit – beurteilt werden kann.
Volkstümlich ausgedrückt: Was die Finanz zur Lohnsteuerfreiheit einer Schmutzzulage feststellt, lässt die Sozialversicherung „unbeeindruckt”.
Mit anderen Worten: Die SV-Behörden sind nicht an die Rechtsansicht der Finanz gebunden.
Daher konnte der Prüfer im vorliegenden Fall, die Angemessenheit der Schmutzzulage anders (= niedriger) beurteilen, und damit die von ihm angestrebte SV-Beitragsnachzahlung erreichen
Recht schlägt Hausverstand, weil es für keinen mit Hausverstand ausgestatteten Menschen nachvollziehbar ist, dass rechtlich Folgendes gilt:
Da bestätigt das Finanzamt die Lohnsteuerfreiheit das SV-Recht verweist auf das Einkommensteuerrecht und fordert, dass die Schmutzzulage lohnsteuerfrei sein muss, damit sie auch sv-frei ist und trotzdem können laut Rechtsprechung die Sozialversicherungsbehörden völlig eigenständig und unabhängig von der Meinung des Finanzamtes entscheiden.
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Tipp aus der Praxis für die Praxis:
Was hätte die Reparatur GmbH tun müssen?
Die Reparatur GmbH hätte genauso wie an das Betriebsstättenfinanzamt, auch an den zuständigen Krankenversicherungsträger eine Anfrage nach § 43a ASVG stellen müssen.
Wenn die Antwort des Krankenversicherungsträgers gleichlautend wie jene des Finanzamtes gewesen wäre, dann könnte der Prüfer aufgrund des Treu & Glaubensschutzes keine SV-Beiträge nachfordern
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