Falls Sie es noch nicht gelesen haben, finden Sie hier den Link zum Sachverhalt und der Fragestellung:
Privatfahrten verschleiert ➪ Zeit für Streit
Antworten und Praxiserkenntnisse
Frage 1
Hat der Dienstgeber mit dieser Argumentation eine rechtliche Chance, dass kein Sachbezug anzusetzen ist?
Es trifft zwar zu, dass ungerechtfertigt vom Dienstnehmer, ohne Wissen und Billigung des Dienstgebers angeeignete Vorteile Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit (§ 25 EStG) sind, die durch Veranlagung und nicht durch Lohnsteuerabzug zu versteuern sind
Beispiele:
- Warendiebstähle aus dem Lager
- Veruntreute bzw unterschlagenen Gelder
Diese Rechtslage (Veranlagung statt Lohnsteuerabzug) trifft jedoch im vorliegenden Fall nicht zu. Der Dienstnehmer hat den Firmen-Pkw vom Dienstgeber erhalten und sich nicht rechtswidrig ohne Wissen des Dienstgebers angeeignet. Der Dienstgeber hat auch nicht ausgeschlossen, dass Privatfahrten mit dem Firmen-Pkw denkmöglich sind (siehe Vereinbarungspunkt IV).
Ergebnis:
Der Prüfer setzt aufgrund der vorliegenden Privatfahrten zu Recht einen Sachbezug an.
Somit kommen wir zu den Antworten und zu den Praxiserkenntnissen betreffend Frage 1:
„Hält“ die Vereinbarung, dass Emil Schurkerl das gesamte Sachbezugs-Mehrergebnis in Höhe von EUR 6.540,06 seinem Dienstgeber ersetzen muss?
Frage 2
Kann der Dienstgeber das gesamte Sachbezugs-Mehrkostenergebnis bei Emil Schurkerl regressieren?
Wenn nein, welchen Betrag (welche Abgaben) kann der Dienstgeber regressieren?
Wir betrachten nun die einzelnen Abgaben und
- Vermerken übersichtlich tabellarisch bei jeder Abgabe, ob der Dienstgeber von Emil Schurkerl für die sachbezugsbedingte Nachzahlung Ersatz von Emil Schurkerl fordern kann und
- analysieren anschließend, warum dies so ist (= Analyse der Rechtslage).
Tabellarische Übersicht
Analyse der Rechtslage
DB, DZ, Kommunalsteuer und Sozialversicherungs-Dienstgeber-Anteile
Dadurch, dass Emil Schurkerl die Privatfahrten verschwieg, ist dem Dienstgeber kein zusätzlicher Schaden hinsichtlich dieser Abgaben entstanden.
Hätte Emil Schurkerl im Fahrtenbuch korrekt seine Privatfahrt angeführt, hätte der Dienstgeber den Sachbezug in seiner Gehaltsverrechnung angesetzt (siehe Punkt IV der Vereinbarung).
In diesem Fall wäre der Dienstgeber mit den Abgaben DB, DZ, Kommunalsteuer und Sozialversicherungs-Dienstgeber-Anteile belastet gewesen, die nun auch der Lohnabgabenprüfer vorschrieb.
Ergebnis:
Es kann daher der Dienstgeber für diese Abgaben mangels zusätzlich entstandenem Schaden nicht fordern, dass sie ihm von Emil Schurkerl ersetzt werden.
Sozialversicherungs-Dienstnehmer-Anteile
Emil Schurkerl weigert sich, der Warenhandels GmbH die Sozialversicherungs-Dienstnehmer-Anteile zu refundieren mit folgendem Hinweis:
§ 60 Abs 1 ASVG verbietet seiner Ansicht nach, dass der Dienstgeber ihm nachträglich Sozialversicherungs-Dienstnehmer-Anteile abzieht.
§ 60 Abs 1 ASVG lautet (Hervorhebungen durch uns):
„Der Dienstgeber ist berechtigt, den auf den Versicherten entfallenden Beitragsteil vom Entgelt in barem abzuziehen. Dieses Recht muß bei sonstigem Verlust spätestens bei der auf die Fälligkeit des Beitrages nächstfolgenden Entgeltzahlung ausgeübt werden, es sei denn, daß die nachträgliche Entrichtung der vollen Beiträge oder eines Teiles dieser vom Dienstgeber nicht verschuldet ist. Im Falle der nachträglichen Entrichtung der Beiträge ohne Verschulden des Dienstgebers dürfen dem Versicherten bei einer Entgeltzahlung nicht mehr Beiträge abgezogen werden, als auf zwei Lohnzahlungszeiträume entfallen.“
Ob der Dienstgeber trotz der Abzugsbeschränkungen des § 60 Abs 1 ASVG die Sozialversicherungs-Dienstnehmer-Anteile unter dem Titel „Schadenersatz“ vom Dienstnehmer fordern kann, hatte der Oberste Gerichtshof (OGH) im Frühjahr 2020 zu entscheiden (OGH 24. April 2020, 8 ObA 66/19t).
Die beiden, für die Praxis wichtigsten Grundsätze dieses Urteils lauten:
Grundsatz 1:
- Sinn und Zweck des § 60 Abs 1 ASVG ist, dass der Dienstnehmer regelmäßig und nicht (unvorhersehbar) plötzlich mit Sozialversicherungsbeitragsabzügen belastet wird.
- Sinn und Zweck des § 60 Abs 1 ASVG ist aber nicht, einen Schadenersatzanspruch des Dienstgebers zu verhindern, der deshalb besteht, weil der Dienstnehmer schuldhaft und treuwidrig vereitelt hat, dass der Dienstgeber zeitgerecht den Sozialversicherungs-Dienstnehmer-Anteil abziehen konnte.
Grundsatz 2:
- Aus Grundsatz 1 ergibt sich daher, dass die Bestimmung des § 60 Abs 1 ASVG (bezüglich des eingeschränkten Abzugsrechtes betreffend den Dienstnehmer-Anteil) nicht ausschließt, dass der Dienstgeber einen Schadenersatzanspruch geltend machen kann.
- Hätte der Dienstnehmer nicht schuldhaft und treuwidrig die Privatfahrten verschleiert, hätte der Dienstgeber den Sozialversicherungs-Dienstnehmer-Anteil abziehen können.
Ergebnis:
Es muss Emil Schurkerl der Warenhandels GmbH die aufgrund der Lohnabgabenprüfung bezahlten
- Sozialversicherungs-Dienstnehmer-Anteile und
- die gesamten(!) Verzugszinsen
ersetzen.
Auch die Verzugszinsen für den Sozialversicherung-Dienstgeber-Anteil hat Emil Schurkerl der Warenhandels GmbH zu ersetzen, weil diese nur deshalb angefallen sind, weil der Dienstgeber mangels Kenntnis der Privatfahrten keine korrekte Sachbezugsabrechnung vornehmen konnte.
Lohnsteuer und Säumniszuschläge
Grundsatz 2: Lohnsteuerregress ist zulässig
Bei der Lohnsteuer ist der Dienstnehmer der Abgabenschuldner, der Dienstgeber
haftet
lediglich für die Abfuhr.
Daher ist auch der Lohnsteuerregress des Dienstgebers gegenüber dem Dienstnehmer bei einer Nachforderung des Finanzamtes nach einer Lohnsteuerprüfung (ausnahmen: siehe weiter unten im Text) rechtlich unproblematisch:
Die Lohnsteuernachzahlung des Dienstgebers ist eine Zahlung für fremde Schuld, für die er persönlich haftet. Der Dienstgeber tritt daher mit der Zahlung der fremden Schuld gemäß § 1358 ABGB (gesetzliche Zession) in die Rechte des Gläubigers ein und kann vom Schuldner (= Dienstnehmer) den Ersatz der bezahlten Schuld verlangen.
Ein gutgläubiger Verbrauch der Bezüge kann seitens des Dienstnehmers nicht eingewendet werden.
Will sich der Dienstgeber die Möglichkeit des Regresses der anlässlich einer Lohnabgabenprüfung nachgezahlten Lohnsteuer offenhalten, dann ist er verpflichtet, die Dienstnehmerinteressen zu wahren (vgl OGH 6. 12. 1977, 4 Ob 111/77).
Ausnahme: (Teilweise) kein Lohnsteuerregress möglich
Der Dienstgeber kann dann (teilweise) die bezahlte Lohnsteuer nicht vom Dienstnehmer rückfordern, wenn er entweder
- bei der Lohnabgabenprüfung die Interessen des Dienstnehmers nicht gewahrt hat, dh Möglichkeiten, die Lohnsteuernachzahlung zu vermindern, nicht nutzte (bspw wenn der Dienstgeber eine erfolgversprechenden Beschwerde nicht vorgenommen hat) oder
- wenn Dienstgeber und Dienstnehmer anlässlich der Dienstvertragsbeendigung einen Vergleich abgeschlossen haben, mit dem u.a. „alle wechselseitigen Ansprüche aus dem ehemaligen Dienstverhältnis abgegolten und verglichen sein sollten“ (OGH 27.2.1991, 9 ObA 1002/91).
Die Bereinigungswirkung eines Vergleiches umfasst …
- insbesondere auch solche Ansprüche, an welche die Parteien im Zeitpunkt des Vergleiches zwar nicht gedacht haben, an die sie aber denken konnten (§ 1389 ABGB).
- im Regelfall nicht die Ansprüche aus der Trennungsvereinbarung.
Ergebnis:
Der Lohnsteuerregress der Warenhandels GmbH gegenüber Emil Schurkerl ist grundsätzlich zulässig.
Allerdings muss er nicht den gesamten Lohnsteuerbetrag in Höhe von EUR 2.599,86, sondern einen um EUR 277,20 verminderten Lohnsteuerbetrag ersetzen.
Begründung:
Sein Dienstgeber hat bei der Lohnabgabenprüfung übersehen, dass in Höhe von EUR 277,20 eine Lohnsteuersparnis hätte berücksichtigt werden müssen, weil:
- sich das Jahressechstel im Jahr 2018 aufgrund des Sachbezuges um EUR 630,00 (= 2 x EUR 315,00) erhöht ➪
- dies hätte der Lohnabgabenprüfer bei der Lohnsteuerberechnung der Prämie berücksichtigen müssen und ➪
- es hätte die „Sachbezugs-Lohnsteuer“ um EUR 277,20 vermindert werden müssen
Die obige Lohnsteuergutschrift errechnet sich wie folgt:
- Ursprünglich wurde die Prämie aufgrund der Sechstelüberschreitung zur Gänze zum Tarif (Grenzsteuersatz: 50%) versteuert.
- Aufgrund des sachbezugsbedingt erhöhten Jahressechstel wäre daher ein Prämienteilbetrag von EUR 630,00 (entspricht dem Betrag, um das sich in 2018 das Jahressechstel erhöhte) mit 6% zu versteuern ➪ Lohnsteuerersparnis: 44% von EUR 630,00.
Aus diesem Grund muss Emil Schurkerl die Säumniszuschläge auch nur anteilig (ca 90%) der Warenhandels GmbH ersetzen.