Mit den Montagsfällen (“MoFa”) präsentieren wir Ihnen interessante und knifflige Fälle aus der Praxis für die Praxis.
Zunächst sind Sie gefordert.
⇨ Beantworten Sie die am Ende des Beitrages gestellte Frage für sich oder im Team und schreiben Sie bitte Ihre Antwort in die Kommentare.
Am Ende des Beitrages finden Sie die Auflösung und Tipps für Ihre Praxis.
Der Montagsfall vom 14. Juni 2021
Unser erster MoFa spielt in einem Unternehmen, das aufgrund der wirtschaftlich schlechten Lage zahlreiche Dienstnehmer*innen abbauen muss.
Mit dem Betriebsrat wird ein Sozialplan (= Betriebsvereinbarung) vereinbart.
Die Sozialplanbegünstigungen gelten – so der Inhalt des Sozialplanes – für alle Dienstnehmer, die
a)
Zum Zeitpunkt der Kundmachung dieser Betriebsvereinbarung in einem unbefristeten und aufrechten, seit mindestens 12 Monaten ununterbrochen bestehenden Dienstverhältnis zum Dienstgeber stehen UND
b)
deren Dienstverhältnis einvernehmlich aufgelöst oder vom Dienstgeber aufgekündigt wird UND
c)
diese Dienstgeber-Kündigung darf weder vom Betriebsrat noch vom Dienstnehmer gemäß § 105 ArbVG angefochten werden.
Ein Dienstnehmer, der 25 Jahre im Unternehmen tätig war, wird – da er einer einvernehmlichen Dienstvertragsauflösung nicht zustimmt – vom Dienstgeber aufgrund der Restrukturierung gekündigt.
Diese Kündigung wird vom Dienstnehmer (a) aufgrund Sozialwidrigkeit und (b) wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgesetz angefochten, worauf der Dienstgeber ihm gemäß den Regelungen im Sozialplan keine dort vorgesehenen Zuwendungen ausbezahlt.
Frage an Sie:
Ist die Bedingung, auf eine Anfechtung der Dienstgeber-Kündigung zu verzichten, um Sozialplanbegünstigungen zu erhalten
Ich freue mich auf Ihren Lösungsvorschlag in den Kommentaren!. Begründen Sie bitte Ihre Entscheidung.
Die Antwort kommt vormittags am 17. Juni 2021. Achten Sie auf unseren Newsletter, der im Betreff mit MoFa‑L beginnt.
Die Auflösung:
Diesen Streitfall hatte der Oberste Gerichtshof (OGH) zu entscheiden.
In seinem Urteil OGH 29.04.2021, 9 ObA 9/21w finden Sie die folgenden, für die Praxis wichtigen Aussagen:
- 1Die Bedingung, dass nur jene Dienstnehmer eine Zuwendung aus dem Sozialplan erhalten, die die vom Dienstgeber ausgesprochene Kündigung nicht anfechten, ist nicht sittenwidrig und daher zulässig.
- 2Eine Klausel im Sozialplan, wonach freiwillige Abfindungen davon abhängig sind, dass der Dienstnehmer eine Anfechtung seiner Kündigung bei Gericht unterlässt, verhindert, dass der Dienstgeber einerseits Sozialplanleistungen erbringt, andererseits aber dem nicht unerheblichen Kostenrisiko von Kündigungsanfechtungen ausgesetzt ist.
- 3Daher ist diese „Ausschlussklausel“ in Sozialplänen für Dienstnehmer, die ihre Kündigung anfechten, nach Ansicht des OGH gerechtfertigt.
➪ Praxistipps und Hinweise:
Antwort:
UNZULÄSSIG:
Begründung: Die Bedingung auf die Anfechtung zu verzichten um die Sozialplanbegünstigung zu erhalten ist unzulässig, weil sie gegen das ArbVG §105 verstößt!
ein Urteil, mit dem auch ich nicht gerechnet hätte – sehr überraschend, aber bei genauerer Betrachtung: Fair, denn der Dienstnehmer kann wählen: Sozialplanzahlungen nehmen und Kündigung akzeptieren oder Kündigung anfechten und uU „mehr rausholen“.
Daher: Ein wichtiges Urteil für jene Unternehmen, die Sozialpläne erstellen!
zulässig
Gratulation, Sie haben richtig die Rechtslage beurteilt
Der Anfechtungsausschluss ist zulässig, da es sich beim Sozialplan um eine BV handelt, die ein Angebot an die Dienstnehmer darstellt, welches diese optional annehmen können, aber nicht müssen. Die Rechtmäßigkeit der BV samt Inhalts ist durch die Vereinbarung mit dem BR als Interessensvertreter der Belegschaft gegeben.
Gratulation, Sie haben richtig die Rechtslage beurteilt!
Nicht zulässig, eine BV darf einen Mitarbeiter nicht schlechter stellen.
Die BV könnte höchstens regeln, dass wäsolange eine Anfechtungsklage aufrecht ist noch kein Sozialplan ausbezahlt wird und erst mit einer rechtsgültigen Entscheidung wirksam wird.
ein Urteil, mit dem auch ich nicht gerechnet hätte – sehr überraschend, aber bei genauerer Betrachtung: Fair, denn der Dienstnehmer kann wählen: Sozialplanzahlungen nehmen und Kündigung akzeptieren oder Kündigung anfechten und uU „mehr rausholen“.
Daher: Ein wichtiges Urteil für jene Unternehmen, die Sozialpläne erstellen!
zulässig!
Liebe Frau Dr. Knell, dass Sie den Fall richtig lösen, wundert mich nicht, denn es ist Ihr Beruf, den Sie als von mir menschlich und fachlich sehr geschätzte Arbeitsrechts-Rechtsanwältin ausüben, komplizierte Fälle richtig zu lösen, was Sie erneut eindrucksvoll bewiesen haben.!