Ein Beitrag von Mag. Tina Dangl
Die Ferienzeit stellt viele Eltern vor die Herausforderung, eine Kinderbetreuung zu organisieren. Wenn alle Stricke reißen, nehmen Eltern die Kinder an einzelnen Tagen an ihren Arbeitsplatz mit.
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Anhand von 4 Einzelschicksalen untersuche ich praxisbezogen, welche Probleme entstehen können, wenn Eltern ihre Kinder an den Arbeitsplatz mitnehmen.
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel aus der Zeitschrift Personalverrechnung für die Praxis (Verlag LexisNexis; Heft Juli 2012).
Diese 4 Einzelschicksale sind:
Die „Betreuungs-Oma“ ist krank ⇒ Kind hilft der Mutter im Büro
Helena Lohny ist Angestellte und in der Personalverrechnung tätig. Gerade zur abrechnungsintensivsten Zeit im Juli erkrankt ihre Mutter, die während der Ferienzeit Martina, die 7‑jährige Tochter von Helena Lohny betreut.
Nun steht Helena Lohny vor der Herausforderung, wie sie Job und Kinderbetreuung unter einen Hut bringen kann. Urlaub möchte sie auf keinen Fall konsumieren, da sonst die ganze Arbeit liegen bleibt und die Abrechnung nicht zeitgerecht fertig wird. Sie möchte ihre Tochter gerne in die Arbeit mitnehmen. Martina ist ein vernünftiges Mädchen und würde sich sicher freuen, auch ein wenig mitzuarbeiten, wie Gehaltszettel kuvertieren, kopieren, etc.
Kind fährt auf Dienstreise mit ins Ausland ⇒ wer haftet beim Unfall?
Fritz Dissel ist LKW-Fahrer. Die Ferienzeit stellt für ihn kein besonderes Problem dar, da er in dieser Zeit immer seinen 12-jährigen Sohn Michael auf seine Touren ins europäische Ausland mitnimmt.
Sein Arbeitgeber ist damit einverstanden. Ein wenig Sorgen macht sich der Arbeitgeber allerdings hinsichtlich der Haftungsfrage.
Wer haftet, sollte ein Unfall passieren, während das Kind mitfährt? Der Arbeitgeber will keinesfalls für allfällige Unfallfolgen, das Kind betreffend aufkommen.
Kind auf der Baustelle spielt mit der Baumaschine ⇒ gilt das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz?
Klaus Benntohn ist Polier und beaufsichtigt eine Baustelle. Da die Arbeiten zeitlich knapp kalkuliert sind, kann er keinen Urlaub konsumieren.
Deshalb beschloss der Alleinerzieher, seinen 10-jährigen Sohn Willi in den Ferien mit auf die Baustelle zu nehmen.
Willi ist von Baggern und Baumaschinen seit jeher begeistert. In einem unbeobachteten Augenblick nimmt Willi eine Baumaschine in Betrieb. Sein Vater hat ihm vor Arbeitsantritt genau erklärt, wie diese Baumaschine funktioniert, daher war Willi in der Lage, mit ihr loszufahren. Es kam wie es kommen musste, es entstand ein erheblicher Schaden am Rohbau. Gottseidank war kein anderer Arbeiter in der Nähe; es wurde niemand verletzt.
Kind stiehlt am Arbeitsplatz der Mutter ⇒ was sind die Konsequenzen?
Melitta Moneypenny ist Kassierin in einem Supermarkt. Als Alleinerzieherin hat sie in den Sommerferien ein Betreuungsproblem, weshalb sie ihre 10-jährige Tochter Melanie zur Arbeit mitnimmt.
Ihrem Arbeitgeber teilt sie das nicht mit. Nachdem ihre Mutter ihr nicht erlaubt, sich zu schminken, nutzt Melanie die Gelegenheit und stiehlt im Geschäft, in dem ihre Mutter beschäftigt ist, Lippenstifte, Nagellack und ähnliche Produkte.
Diese Fragen beantworte ich im Folgenden
Dürfen Arbeitnehmer ihre Kinder an den Arbeitsplatz mitnehmen?
Nein, grundsätzlich besteht kein Anspruch des Arbeitnehmersseine Kinder an den Arbeitsplatz mitzunehmen – auch in Notfällen nicht!
Damit der Arbeitnehmer ein Kind an den Arbeitsplatz mitnehmen darf, bedarf es jedenfalls der Zustimmung des Arbeitgebers.
Dürfen Kinder im Büro mitarbeiten? – Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetz (KJBG)
Soll das Kind am Arbeitsplatz kleinere Tätigkeiten ausführen, zB Gehaltszettel einkuvertieren, sind die Bestimmungen des KJBG zu beachten: Demnach ist für Kinder „Arbeit jeder Art“ (dh jegliche Arbeitsleistung!) verboten (siehe §§ 4 ff KJBG).
Das KJBG definiert als „Kinder“ sämtliche Minderjährige bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres oder bis zur späteren Beendigung der Schulpflicht.
Der Begriff der „Kinderarbeit“ ist im KJBG sehr weit: Selbst geringfügige und vereinzelte Hilfeleistungen von Kindern sind gemäß KJBG verbotene „Arbeiten jeder Art“.
Beispiel
Ein 14-Jähriger hielt sich um 2:40 Uhr in einem Bäckereibetrieb auf, um diesen lediglich kennenzulernen. Dabei betätigte er 1x die Semmelmaschine. Das reichte laut VwGH aus, dies als „Beschäftigung von Kindern mit Arbeiten jeder Art“ zu beurteilen.
Dass diese Tätigkeit unter Aufsicht eines Arbeitnehmers vorgenommen wird, ändert nichts daran, dass es sich um verbotene Kinderarbeithandelt (vgl VwGH 9. 7. 1992, 92/18/0106, ARD 4400/2/92).
Haftet der Arbeitgeber bei Unfällen und für die entstandenen Schäden?
Mitnahme von Kindern im LKW
Bei der Mitnahme von Kindern im LKW (aber auch bei der Mitnahme anderer Mitfahrer) hat der Arbeitgeber insbesondere die sogenannte „Halterhaftung“ zu beachten:
Demnach haftet er als Halter des Fahrzeuges, wenn durch einen Unfall „ein Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt, oder eine Sache beschädigt wird“.
Als Halter gilt immer derjenige, der das Fahrzeug auf eigene Rechnung in Gebrauch hat und über die Verwendung des Fahrzeuges bestimmt. (Im Beispiel , wo der LKW-Fahrer seinen Sohn mitnimmt, ist demgemäß der Arbeitgeber der Halter.)
Die Haftung besteht unabhängig von einem allfälligen Verschulden des Arbeitgebers und umfasst insbesondere
Die Haftung des Arbeitgebers ist nur in 2 Fällen ausgeschlossen:
- Es handelt sich um eine „Gefälligkeitsbeförderung“: Eine solche liegt dann vor, wenn die Beförderung als reine Gefälligkeit für den Beförderten vorgenommen wird (zB Mitnahme eines Autostoppers).
Allerdings verneint die Rechtsprechung bei der Mitnahme eines Kindes eine solche „Gefälligkeitsbeförderung“, da das Kind kein wirtschaftliches Interesse an der Beförderung hat (vgl OGH 9. 11. 1967 2 Ob 241/67). - Die verletzte oder getötete Person wird ohne Willen des Halters befördert.
Praxistipps
- Aufgrund des nicht unbeträchtlichen Haftungsrisikos bei einem Unfall, empfehle ich, die Mitnahme von Kindern auf Dienstreisen generell zu verbieten.
- Nimmt ein Arbeitnehmer das Kind auf eine Dienstreise mit, ohne den Arbeitgeber vorab zu informieren, hat der Arbeitgeber, sobald er davon „auf Umwegen“ erfährt, dem Arbeitnehmer die Mitnahme des Kindes umgehendausdrücklich und nachweislich zu untersagen.
- Erlaubt der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer sein Kind mitnimmt, sollte er auch für entsprechende Sicherheitseinrichtungen (zB geeigneter Kindersitz, etc) sorgen.
Schäden durch unbefugtes Verwenden von Geräten und Maschinen
Ist das Kind noch minderjährig (= vor Vollendung des 14. Lebensjahres; vgl die unterschiedliche Definition von Minderjährigkeit im ABGB und des Begriffs des Kindes im KJBG; die volle zivilrechtliche Deliktsfähigkeit nach den allgemeinen schadenersatzrechtlichen Bestimmungen tritt mit Vollendung des 14. Lebensjahres ein), haftet es nicht.
Stattdessen haftet jene Person, die zur Aufsicht verpflichtet ist. In der Regel sind dies die Eltern des Kindes. Nimmt der Vater den Sohn auf die Baustelle mit, haftetder Vater für den verursachten Schaden, wenn er sorgfaltswidrig die Aufsichtspflicht verletzt hat. Das hat der Arbeitgeber zu beweisen.
Neben dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes ist auch zu berücksichtigen, inwieweit in einer konkreten Situation Gefahren vorhersehbar sind. Die
Vorhersehbarkeit und das Ausmaß des Risikos, dass ein Schaden eintreten könnte, spielen bei der Beurteilung der Verletzung der Aufsichtspflicht eine große Rolle.
Nimmt der Vater seinen Sohn auf eine Baustelle mit (siehe Beispiel ), besteht jedenfalls ein erhöhtes Sicherheitsrisiko.
Erklärt er seinem Sohn Willi auch noch, wie eine Maschine zu bedienen ist und unterlässt er es in er Folge, Willi einzuschärfen, dass er sich ohne Begleitung seines Vaters keinesfalls dieser Maschine nähern darf, hat er mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Sorgfaltspflicht verletzt. Er haftet daher gegenüber dem Arbeitgeber für den verursachten Schaden.
Hinweise
Auch in diesem Fall ist das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz anzuwenden. Der Arbeitnehmer hat nicht nur seine Aufsichtspflicht gegenüber dem Kind verletzt, sondern er hätte auch aufgrund seiner Treuepflicht dafür sorgen müssen, dass kein Unbefugter die Baustelle betreten und unerlaubt eine Maschine in Betrieb nehmen kann.
Da der Arbeitnehmer dieser Verpflichtung schuldhaft nicht nachgekommen ist, hat er iZm seiner Dienstleistung dem Arbeitgeber einen Schaden zugefügt (vgl auch OLG Wien, 28. 5. 2002, 10 Ra 133/02f, ARD 5365/8/2002). Die Höhe des Schadenersatzes kann vom Gericht gemäßigt werden.
Wäre ein anderer Arbeitnehmer verletzt worden, läge ein Arbeitsunfall vor, der von der gesetzlichen Unfallversicherung gedeckt wäre. Die AUVA könnte sich beim Arbeitgeber dann regressieren, wenn dieser dem Arbeitnehmer gestattet hat, ein minderjähriges Kind auf eine Baustelle mit erhöhtem Gefahrenpotenzial mitzubringen, ohne entsprechende Sicherheitsmaßnahmen zu treffen.
Hat der Arbeitgeber nichts davon gewusst, dass der Arbeitnehmer ein Kind mitbringen will, oder hat er die Mitnahme des Kindes sogar ausdrücklich untersagt, ist die Haftung des Arbeitgebers ausgeschlossen.
UU haftet der Vater gegenüber dem verletzten Arbeitskollegen.
Ladendiebstahl durch das Kind – Was sind die Konsequenzen für den angestellten Elternteil?
Ein minderjähriges Kind kann strafrechtlich nicht wegen des Diebstahls zur Verantwortung gezogen werden. Im österreichischen Rechtssystem haften die Eltern strafrechtlich auch nicht für die „Untaten“ ihrer Kinder.
Allerdings haften Eltern für den eingetretenen Schaden dann, wenn sie schuldhaft die Aufsichtspflicht verletzt haben.
Die Mutter, die ihr Kind ohne Wissen und Willen des Arbeitgebers in die Arbeit mitnimmt, und ihrer Aufsichtspflicht nicht ausreichend nachkommt, hat dem Arbeitgeber den Schaden, den das Kind verursacht hat, zu ersetzen.
Hinweis
Nimmt sie das Kind ohne Wissen und Willen des Arbeitgebers mit an den Arbeitsplatz, sind auch weiterreichende arbeitsrechtliche Konsequenzenmöglich.
Da die Arbeitnehmerin ihre vereinbarte Arbeitsleistung nur eingeschränkt erbringen kann (da sie parallel auch ihrer Aufsichtspflicht nachkommen und daher „nach ihrem Kind sehen“ muss), verstößt sie mit der Mitnahme des Kindes gegen ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen. Der Arbeitgeber könnte eine Verwarnung – und bei wiederholtem Verstoß – sogar eine Entlassung aussprechen.
Zusammenfassung
- Arbeitnehmer haben trotz eines möglichen Engpasses bei der Kinderbetreuung – insbesondere während der Ferienzeit – keinen Anspruch darauf, das Kind mangels alternativer Betreuungsmöglichkeiten an den Arbeitsplatz mitzunehmen.
- Auch wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern entgegenkommen möchte, sollte er sich aus Haftungsgründen gut überlegen, ob er zustimmt, dass der Arbeitnehmer sein Kind an den Arbeitsplatz mitnehmen darf.
- Besonders an Arbeitsplätzen mit erhöhter Gefahr (Baustellen, Fabrikshallen, Umgang mit Maschinen, Arbeit mit gefährlichen Stoffen, etc) empfehle ich, dass der Arbeitgeber aus Haftungsgründen ausdrücklich untersagt, dass der Arbeitnehmer seine Kinder an den Arbeitsplatz mitnimmt.
- Auch die Produktivität des Arbeitnehmers ist durch die Mitnahme von Kindern reduziert, da er von seiner Arbeit abgelenkt sein wird, um seiner Aufsichtspflicht nachzukommen (dieser Punkt ist allerdings stark vom Alter des Kindes und dessen Fähigkeit, sich für einige Zeit selbst zu beschäftigen, abhängig).
Alternativen bei fehlender Betreuungsmöglichkeit
Arbeitnehmer haben nicht nur bei Erkrankung eines nahen Angehörigen Anspruchauf eine Pflegefreistellung, sondern auch dann, wenn die Person, die das Kind sonst betreut, aus folgenden Gründen ausfällt und der Arbeitnehmer die Kinderbetreuung selbst übernehmen muss:
Der Arbeitnehmer hat aus diesen Gründen pro Arbeitsjahr Anspruch auf eine Pflegefreistellung im Höchstausmaß seiner regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit.
Hinweis
Angestellte (und Arbeiter gleichlautend ab dem 1. Juli 2018) haben darüber hinaus Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn sie durch andere wichtige Gründe, die ihre Person betreffen ohne ihr Verschulden während einer verhältnismäßig kurzen Zeit an der Leistung seiner Dienste verhindert sind.
Ein unvorhersehbarer Ausfall der Kinderbetreuungsperson ist ein „wichtiger, in der Person des Arbeitnehmers gelegener Grund“, der den Arbeitnehmer berechtigt, der Arbeit fernzubleiben.