Eine EU-Richtlinie verlangt, dass Änderungen bei der Elternkarenz, der Elternteilzeit, der Pflegefreistellung und in einigen anderen Bereichen vorzunehmen sind (Richtlinie [EU] 2019/1158 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige).
Ein am 28. 6. 2023 vom Sozialausschuss des österreichischen Parlaments in Begutachtung geschickter Initiativantrag sieht folgende Maßnahmen vor:
- Zwei unübertragbare Monate Karenz pro Elternteil, weshalb Anspruch auf volle Karenzdauer nur noch bei Karenzteilung oder Alleinerziehern besteht;
- Erweiterung der Pflegefreistellung;
- Erweiterung des Diskriminierungsschutzes im Gleichbehandlungsgesetz;
- Verdoppelung des Familienzeitbonus
Die EU-Vorgaben lassen beim überwiegenden Teil der genannten Themen wenig Spielraum, daher wird sich an den geplanten Maßnahmen inhaltlich nicht mehr viel ändern.
Das Parlament wird die Gesetzesnovelle im Anschluss an die Begutachtungsphase im Herbst – allenfalls mit kleinen Nachbesserungen – voraussichtlich rückwirkend mit 1. 8. 2023 beschließen.
Link zu diesem Gesetzesentwurf: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/A/3478/fname_1569994.pdf
Dieser Beitrag informiert Sie praxisbezogen und kompakt über die im Gesetzesentwurf enthaltenen Änderungen. die Personalisten kennen (für die Praxis nicht oder wenig bedeutsame Neuerungen bleiben unberücksichtigt).
Wissenswerte Änderungen im Mutterschutzgesetz und Väter-Karenzgesetz
Die Gesetzesänderungen sind gemäß dem Entwurf für Geburten (Adoptionen, Inpflegenahmen) ab 1. 8. 2023 (somit rückwirkend) anzuwenden.
1. Volles Ausmaß der Elternkarenz nur noch bei Alleinerziehern oder wenn Karenz geteilt wird
Anspruch auf die volle Karenzdauer (= bis zum vollendeten 2. Lebensjahr des Kindes) soll es künftig nur mehr dann geben, wenn jeder Elternteil mindestens 2 Monate in Karenz geht.
Nimmt hingegen nur einer der beiden Elternteile Karenz, soll der Karenzanspruch enden, wenn der 22. Lebensmonat des Kindes abgelaufen ist (also 2 Monate früher als bisher).
Von dieser gesetzlichen Karenzkürzung sind nur Alleinerziehende ausgenommen, dh wenn kein anderer Elternteil vorhanden ist oder der andere Elternteil nicht im selben Haushalt lebt.
Hinweis:
Für den Status „alleinerziehend“ kommt es auf den Zeitpunkt der Karenzmeldung an.
Praxistipp:
Für die betriebliche Praxis bedeutet das hinkünftig: Wünscht die DN Elternkarenz in voller Dauer (also länger als bis zum 22. Lebensmonat des Kindes), muss sie dem DG schriftlich bestätigen, dass sie alleinerziehend ist.
Legt die DN diese schriftliche Bestätigung dem DG nicht vor, ist dieser berechtigt, die Karenz mit dem 22. Lebensmonat zu begrenzen (Pflicht zum Dienstantritt daher schon 22 Monate nach der Geburt des Kindes).
Gestattet der DG in solchen Fällen dennoch eine Karenz auch für den 23. und 24. Lebensmonat, so handelt es sich arbeitsrechtlich gesehen um eine – zB eine Kontroll-Jahressechstelnachzahlung nicht ausschließende – vertraglich vereinbarte Karenzierung.
2. Wissenswerte Änderungen bei der aufgeschobenen Karenz
Bei der – in der Praxis eher selten vorkommenden – „aufgeschobenen Karenz“ (Mutter und Vater können jeweils 3 Monate der Karenz für später aufheben, maximal bis zum 7. Lebensjahr des Kindes) gibt es 2 Änderungen:
- Der DG muss, wenn er den Wunsch auf Karenzaufschiebung ablehnt, diese Ablehnung innerhalb von 2 Wochen ab dem Zeitpunkt, zu dem der DG die Ablehnung dem DN mitgeteilt hat, schriftlich begründen.
- Zudem wird ein neuer Motivkündigungsschutz geschaffen: Eine Kündigung wegen einer beabsichtigten oder tatsächlich geltend gemachten aufgeschobenen Karenz kann als motivwidrige Kündigung beim ASG angefochten werden.
- Bevor der DN die Klage einbringt, kann er innerhalb von 5 Tagen nachdem er die DG-Kündigung erhalten hat, vom DG verlangen, dass dieser schriftlich begründet, warum er gekündigt wurde. Mit dieser Begründungspflicht kann der DN seine Erfolgschancen im Prozess besser einschätzen.
3. Elternteilzeit bis zum vollendeten achten Lebensjahr des Kindes
Etwas umständlich geregelt ist, dass der äußerste Zeitrahmen für die ETZ vom siebenten auf das achte Lebensjahr des Kindes ausgeweitet werden soll.
Bemerkenswert ist dabei, dass die geplante Neuerung
ETZ ist demnach künftig möglich
- bis zum Ablauf des 8. Lebensjahres des Kindes (Rahmenzeitraum),
- innerhalb dieses Zeitrahmens allerdings nur im Ausmaß von höchstens 7 Jahren, wobei vom 7‑jährigen Höchstausmaß die Zeit des Beschäftigungsverbotes (Mutterschutz) nach Geburt und Karenzzeiten für dasselbe Kind abgezogen werden.
Das Ziel dieser kompliziert klingenden Bestimmung besteht darin,
➪ BEISPIEL
Sachverhalt
- Geburt 3. 12. 2023, Mutterschutz nach der Geburt: bis 28. 1. 2024 (56 Kalendertage [KT])
- Karenz der Mutter: 29. 1. 2024 bis 3. 10. 2025 (614 KT)
- Karenz des Vaters: 4. 10. 2025 bis 3. 12. 2025 (61 KT)
- Gewünschte ETZ (Mutter und/oder Vater): ab 4. 12. 2025 bis ???
Lösung:
ETZ-Anspruch: 7 Jahre = 2.557 KT (inkl 2 darin liegenden Schaltjahren: 365 KT x 7 Jahre + 2 Schaltjahrtage = 2.557 KT), wobei Mutterschutzzeit nach Geburt und Karenzen beider Elternteile abgezogen werden: 2.557 KT – 56 KT – 614 KT – 61 KT = 1.826 KT
Ausgehend vom 4. 12. 2025 (ETZ-Beginn) ist ETZ bis 3. 12. 2030 möglich (entspricht hier punktgenau dem 7. Geburtstag des Kindes)
4. Änderung bei Motivkündigung wegen Elternteilzeit nach dem vierten Lebensjahr des Kindes
Trotzdem sich der spätmöglichste ETZ-Endtermin ändert (siehe vorangegangenen Punkt 3.) bleibt unverändert, dass der besondere Kündigungsschutz maximal bis zum Ablauf des 4. Lebensjahres des Kindes (plus 4 Wochen Behaltefrist) läuft.
Dauert eine ETZ länger als bis zum 4. Geburtstag (oder beginnt sie erst danach), kann eine Kündigung wegen einer beabsichtigten oder tatsächlich konsumierten ETZ beim ASG angefochten werden.
Diesen Motivkündigungsschutz gab es schon bisher.
Neu ist bezüglich des Motivkündigungsschutzes, dass der DG künftig, wenn dies der DN innerhalb von 5 Tagen nachdem er die DG-Kündigung erhalten hat, verlangt, die Kündigung schriftlich begründen muss.
Durch die schriftliche Begründung soll es den DN ermöglicht werden, die Prozesschancen besser einschätzen zu können.
Konsequenz, wenn der DG die verlangte schriftliche Kündigungsbegründung nicht ausstellt:
a) Die DV-Beendigung bleibt rechtswirksam
b) DG-Weigerung wirft „schlechtes Licht“ auf den DG im Gerichtsprozess.
Wissenswerte Änderungen im
Urlaubsgesetz (betreffend Pflegefreistellung)
Die Gesetzesänderungen sind gemäß dem Entwurf ab 1. 8. 2023 (somit rückwirkend) anzuwenden.
1. Pflegefreistellung wird erweitert: Angehöriger ODER Haushaltsmitglied
Die Voraussetzungen für die Pflegefreistellung wegen der notwendigen Pflege einer erkrankten Person (§ 16 Abs 1 Z 1 UrlG) werden gelockert:
- Bei den im § 16 UrlG angesprochenen „nahen Angehörigen“ (Ehegatte, eingetragener Partner, Lebensgefährte, Großeltern, Eltern, Kind, Adoptivkind, Pflegekind, Stiefkind) ist eine Pflegefreistellung künftig auch dann möglich, wenn kein gemeinsamer Haushalt besteht (zB Pflege der erkrankten Mutter durch die bereits ausgezogene erwachsene Tochter).
- Außerdem wird der Kreis der potenziellen „Pfleglinge“ erweitert: Pflegefreistellung soll es auch zur Pflege von Personen im gemeinsamen Haushalt geben, die keine Angehörigen sind (zB Mitbewohner in einer Wohngemeinschaft).
2. Neu: Motivkündigungsschutz bei Pflegefreistellung
Neu eingeführt wird ein Motivkündigungsschutz, wenn DN wegen der beabsichtigten oder tatsächlich in Anspruch genommenen Pflegefreistellung vom DG gekündigt werden.
Der DG muss, wenn dies der DN innerhalb von 5 Tagen nachdem er die DG-Kündigung erhalten hat, verlangt, die DG-Kündigung schriftlich begründen
Konsequenz, wenn der DG die verlangte schriftliche Kündigungsbegründung nicht ausstellt:
a) Die DV-Beendigung bleibt rechtswirksam
b) DG-Weigerung wirft „schlechtes Licht“ auf den DG im Gerichtsprozess.
Wissenswerte Änderungen im
AVRAG
Die Gesetzesänderungen sind gemäß dem Entwurf ab 1. 8. 2023 (somit rückwirkend) anzuwenden.
1. Betreuungsteilzeit, 50plus-Teilzeit, Pflegekarenz/-teilzeit wird vom Dienstgeber abgelehnt ➪ Begründungspflicht
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass der DG eine sachliche und schriftliche Begründung abgeben muss, wenn er folgende DN-Anträge bzw DN-Wünsche ablehnt:
Eine Sanktion ist nicht vorgesehen, wenn der DG die Ablehnung nicht schriftlich begründet.
2. Hospizkarenz/-teilzeit für schwersterkrankte Kinder auch ohne gemeinsamen Haushalt
Bisher war es für den Anspruch auf Familienhospizkarenz bzw Familienhospizteilzeit zur Begleitung eines schwersterkrankten Kindes erforderlich, dass ein gemeinsamer Haushalt mit dem Kind besteht.
Diese Voraussetzung wird ersatzlos gestrichen. Somit ist künftig auch ein vom Kind getrennt lebender Elternteil (zB nach Scheidung) anspruchsberechtigt (§ 14b AVRAG).
Wissenswerte Änderungen im
Gleichbehandlungsgesetz
Die Gesetzesänderungen sind laut dem Entwurf ab 1. 8. 2023 (somit rückwirkend) anzuwenden.
Ab dem 1. 8. 2023 ist das GlBG auch auf Diskriminierungen anzuwenden, bei denen zwar der Diskriminierungsgrund Geschlecht nicht vorliegt, eine Diskriminierung jedoch vorliegt wegen
- Elternkarenz, ETZ, Papamonat,
- Pflegefreistellung,
- dringender familiärer Dienstverhinderung infolge Erkrankung oder Unfall (§ 8 Abs 3 AngG, § 1154b Abs 5 ABGB) oder
- Betreuungsteilzeit (§ 14 Abs 1 Z 2 AVRAG).
Damit sind für derartige Fälle
Familienzeitbonus (finanzielle Leistung für den „Papamonat“) wird verdoppelt
Der „Papamonat“ wird vom Krankenversicherungsträger durch den Familienzeitbonus finanziell gefördert. Die Leistung beträgt derzeit € 23,91 täglich (Wert im Kalenderjahr 2023).
Um mehr Väter für den „Papamonat“ zu motivieren, soll der Familienzeitbonus für Geburten ab 1. 8. 2023 auf € 47,82 pro Tag verdoppelt werden.
Ablaufhemmung von Verjährungs- und
Verfallsfristen
Der Gesetzesentwurf sieht ab 1. 8. 2023 (somit rückwirkend) vor, dass dann, wenn (1) „bestimmte Zeiten“ vorliegen, der Ablauf von gesetzlichen, KV- und DV-Verjährungs- und Verfallsfristen für (2) bestimmte Arbeitsrechtsansprüche gehemmt wird.
Zu (1): „Welche Zeiten sind „bestimmte, verjährungs- und verfallfristenhemmende Zeiten“?
Im Gesetzesentwurf sind die folgenden „besonderen Zeiten“ angeführt:
- Karenz (§ 15f Abs 1a MSchG und § 7d VKG);
- Pflegefreistellung (§ 18a UrlG)
- Dienstfreistellungen gemäß § 8 Abs 3 AngG bzw § 1154b Abs 5 ABGB (§ 9a AngG, § 1154b Abs 7 ABGB);
- Freistellung zur Sterbebegleitung gemäß § 14a AVRAG, zur Begleitung von schwersterkrankten Kindern gemäß § 14b AVRAG und bei Inanspruchnahme von Pflegekarenz gemäß § 14c AVRAG (§ 16a AVRAG);
Zu (2): Bei welchen Arbeitsrechtsansprüche werden die Verjährungs- und Verfallsfristen gehemmt?
Die neue Verjährungs- und Verfallfristenablaufhemmung
Quelle::
- dieser Artikel wurde aus dem August-Heft 2023 der Zeitschrift PVP — Personalverrechnung für die Praxis übernommen
- Autoren:
Birgit Kronberger, MBA/Mag. Rainer Kraft (Geschäftsführer des Vorlagenportals und PVP-Redakteure) - mehr zur Zeitschrift PVP — Personalverrechnung für die Praxis:
www.patka-knowhow.at/pvp-zeitschrift