Schadenersatzansprüche werden mit Entgeltansprüchen aufgerechnet
⇒ Existenzminimum wird dabei unterschritten ⇒ zulässig?
- der Dienstgeber seine Forderungen mit Entgeltforderungen des Dienstnehmer aufrechnet und
- dabei das Existenzminimum unterschreitet
Darf dies der Dienstgeber? Urteilen Sie, ob die Gegenverrechnungen korrekt durchgeführt wurden.
FALL 1 :
Peter Zopfel
Peter Zopfel war bei der IT Service GmbH (= sein Dienstgeber) angestellt und für die IT-Betreuung der Handelswaren GmbH zuständig, die mit seinem Dienstgeber einen IT-Wartungs- und Servicevertrag abgeschlossen hat.
Sein Dienstvertrag enthielt eine Konkurrenzklausel. Trotzdem wechselt
Peter Zopfel zu einem Konkurrenten seines Dienstgebers. Die Handelswaren GmbH löst den IT-Wartungs- und Servicevertrag mit der IT Service GmbH, dem Alt-Dienstgeber von Peter Zopfel und wechselt zum neuen Dienstgeber, um weiterhin von Peter Zopfel betreut zu werden.
Bei der Endabrechnung zieht der Alt-Dienstgeber (=IT Service GmbH) den errechneten Schaden aus dem Verlust des Auftrages mit der Handelswaren GmbH (zB weggefallener Deckungsbeitrag) von den Beendigungsansprüchen (Urlaubsersatzleistung etc) ab und berücksichtigt dabei nicht das Existenzminimum; mit anderen Worten: Nach der Gegenverrechnung des Schadens mit den Beendigungsansprüchen verbleiben Peter Zopfel im Austrittsmonat netto weniger als das Existenzminimum.
Bitte urteilen Sie, ob diese Vorgehensweise korrekt ist.
FALL 2:
Maria Furtgeher
Maria Furtgeher tritt unberechtigt vorzeitig aus. Im Dienstvertrag ist für diesen Fall eine Konventionalstrafe in Höhe eines Monatsbruttolohns vereinbart. Der Dienstgeber zieht die Konventionalstrafe bei der Endabrechnung ab und berücksichtigt dabei nicht das Existenzminimum; mit anderen Worten: Nach der Gegenverrechnung der Konventionalstrafe mit den Beendigungsansprüchen verbleiben Maria Furtgeher im Austrittsmonat weniger als das Existenzminimum.
Bitte urteilen Sie, ob diese Vorgehensweise korrekt ist.
Lösungen
Vorbemerkungen:
Ein Gehaltsabzug unter das Existenzminimum ist laut § 293 Abs 3 EO grundsätzlich nur in folgenden 3 Fällen zulässig:
Hinweise zu Möglichkeit 2:
Der „rechtliche Zusammenhang“ (Konnexität) zwischen einer Gegenforderung des Dienstgebers und dem Arbeitsentgelt wird von der Rechtsprechung extrem eng gesehen.
All jene Forderungen des Dienstgebers, bei denen die Konnexität verneint wird, dürfen das Existenzminimum nicht schmälern.
Nachfolgend einige Beispiele:
Beispiele für
konnexe Forderungen
Beispiele für
nicht konnexe Forderungen
STRITTIG: Rückforderung von irrtümlichen (zu hohen) Bezügen???
Lösung FALL 1:
Peter Zopfel
Möglichkeit 1 (Vorschuss) und Möglichkeit 2 (rechtlicher Zusammenhang
zwischen den beiden Ansprüchen) liegen in diesem Fall nicht vor.
Die Gegenverrechnung des Schadenersatzes mit Entgeltansprüchen unter das Existenzminimum ist dennoch gemäß OGH 27. 1. 2017, 8 ObA 74/16i (ARD 6542/10/2017) zulässig!
Begründung:
Der Dienstgeber kann Möglichkeit 3 (vorsätzliche Schädigung des Dienstgebers durch den Dienstnehmer) anwenden.
Peter Zopfel hat durch den Dienstgeberwechsel ‒ der unzweifelhaft gegen die vereinbarte Konkurrenzklausel verstieß ‒ in Kauf genommen, dass seinem Alt-Dienstgeber (= IT Service GmbH) durch den Jobwechsel der entsprechende Deckungsbeitrag aus der IT-Betreuung der Handelswaren GmbH entgehen wird.
Es ist nach Ansicht des OGH davon auszugehen, dass dies Peter Zopfel bewusst sein musste und er billigend in Kauf nahm, dass dadurch seinem Alt-Dienstgeber (= IT Service GmbH) ein Schaden entstand, und ihm daher (zumindest bedingter) Vorsatz bezüglich Schadenseintritt vorzuwerfen ist.
Die IT Service GmbH kann daher – aufgrund des bedingten Schädigungsvorsatzes von Peter Zopfel – uneingeschränkt ihre Schadenersatzforderung gegen die Endabrechnungsansprüche des Peter Zopfel aufrechnen.
Lösung FALL 2:
Maria Furtgeher
Tritt ein Dienstnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig aus dem Dienstverhältnis aus, kann der Dienstgeber gemäß § 1162a ABGB Schadenersatz wegen Nichterfüllung des Vertrages verlangen.
Diese Pflicht des Dienstnehmers kann durch eine Konventionalstrafe gesichert werden. Die Konventionalstrafe ist ein ‒ wenn auch pauschalierter ‒ Schadenersatzanspruch.
Ist die Gegenverrechnung des Schadenersatzes (= Konventionalstrafe) mit Endabrechnungsansprüchen von Maria Furtgeher unter das Existenzminimum zulässig?
Möglichkeit 1 (Vorschuss) und Möglichkeit 3 (vorsätzliche Schädigung des Dienstgebers durch den Dienstnehmer) liegen in diesem Fall nicht vor. Im Gerichtsverfahren wurde ein vorsätzlich bewirkte Eintritt eines Schadens weder behauptet wurde, noch sind entsprechende Indizien hierfür hervorgekommen.
Zu prüfen ist daher, ob der Dienstgeber aufgrund der Möglichkeit 2 (=rechtlicher Zusammenhang zwischen den beiden Ansprüchen) eine Gegenverrechnung unter das Existenzminimum vornehmen kann.
NEIN, kann der Dienstgeber nach Ansicht des OGH 29. 10. 2009, 9 ObA 50/09g (ARD 6073/1/2010) nicht.
Begründung:
Nach Ansicht des OGH sind nur solche Gegenforderungen des Dienstgebers unter das Existenzminimum aufrechenbar, die eine unmittelbare und enge Verknüpfung mit dem Entgeltanspruch haben.
Diese Verknüpfung liegt gemäß OGH zwischen Schadenersatzanspruch und Entgeltanspruch nicht vor.
Zusammenfassend ergibt sich daher, dass der Dienstgeber von Maria Furtgeher – mangels rechtlichen Zusammenhangs zwischen Entgeltforderung und Schadenersatz – nicht berechtigt war, die Konventionalstrafe (= sein pauschalierter Schadenersatz aufgrund des unberechtigten vorzeitigen Austrittes aus dem Dienstverhältnis) gegen die Beendigungsansprüche von Maria Furtgeher so aufzurechnen, dass hiebei dass Existenzminimum unterschritten wird.