Entscheiden Sie: berechtigte Entlassung: Ja oder Nein?
Fall 1: Teilnahme an Fußballturnier während des Krankenstandes
Ein Dienstnehmer wurde vom Arzt krankgeschrieben und zwar aufgrund einer Schlafstörung, einem reaktiven Erschöpfungszustand und Dysthymie (= langanhaltende depressive Verstimmung). Der Dienstgeber erfuhr von Arbeitskollegen des kranken Dienstnehmers, dass dieser während seines Krankenstandes an einem Hallenfußballturnier in Vöcklabruck teilgenommen hat. Der Dienstgeber rief den kranken Dienstnehmer an, um die Sachlage (Fußballspielen im Krankenstand????) abzuklären, erreichte diesen aber nicht.
Daraufhin wurde der Dienstnehmer ‒ da eine Entlassung unverzüglich auszusprechen ist ‒ vom Dienstgeber entlassen.
Nun meldete sich der Dienstnehmer beim Dienstgeber und informierte diesen, dass
- die Teilnahme am Fußballturnier mit seinem Hausarzt abgestimmt war,
- diese Teilnahme vom Arzt als für die Gesundheit förderlich beurteilt wurde und
- hätte der Hausarzt ihm mitgeteilt, dass er an dem Turnier nicht teilnehmen dürfe, weil dies für seine Krankheit schädlich sei, hätte er nicht gespielt.
Nachdem der Dienstgeber fürchten musste, dass mit diesen Feststellungen die Berechtigung, den Dienstnehmer zu entlassen, sich auflöst wie ein Schneemann in der Mittagssonne, versucht er, dem Dienstnehmer ein Mitverschulden „umzuhängen“ mit dem Argument:
Hätte der Dienstgeber gewusst, dass der Dienstnehmer die Teilnahme am Fußballturnier mit seinem Hausarzt abgestimmt hatte, wäre die Entlassung nicht ausgesprochen worden. Da der Dienstnehmer keine Kontaktaufnahme mit dem Dienstgeber zugelassen hat, ist er an einer allenfalls unberechtigten Entlassung mitschuld.
Wie urteilen Sie hinsichtlich:
- Ist die Entlassung berechtigt?
- Wenn nein, hat der Dienstnehmer ein Mitverschulden zu verantworten?
Fall 2: Krankgeschriebene Dienstnehmerin arbeitet außerhalb der Ausgehzeiten im Geschäft der kürzlich verstorbenen Mutter
Aufgrund einer akuten Belastungsreaktion, ausgelöst durch den plötzlichen Tod ihrer Mutter, befand sich die Dienstnehmerin (= Büroangestellte einer Fahrschule) seit 16. 6. 2015 im Krankenstand, den sie auch ordnungsgemäß meldete.
Die Ausgehzeit wurde von 14 bis 16 Uhr festgelegt, Bettruhe wurde keine verordnet.
Die krankgeschriebene Dienstnehmerin wurde fristlos entlassen, nachdem sie am 1. 7. 2015 ‒ während des Krankenstandes ‒ zufällig von ihrem Dienstgeber dabei gesehen wurde, wie sie um ca 11 Uhr ein Kleidermodengeschäft aufsperrte, das Licht einschaltete und mit einer Stange die Jalousien herauszog.
Urteilen Sie:
Wurde die – außerhalb der Ausgehzeiten – in einem Kleidermodengeschäft tätige, krankgeschriebene Dienstnehmerin berechtigt entlassen?
Fall 3: Medizintechniker nahm die gebrauchte Festplatte eines Kunden unbefugt mit
Der Dienstnehmer (= Medizintechniker) war seit 2. 5. 1989 bei einer Firma angestellt, die für den technischen Betrieb im Allgemeinen Krankenhaus (AKH) der Stadt Wien verantwortlich ist. Seine Aufgabe war es, die medizinischen Geräte auf ihre einwandfreie Funktionstüchtigkeit zu prüfen. Er hatte für das AKH einen Generalschlüssel für alle Räume, in denen sich technische Geräte befanden. Am 24. 5. 2015 nahm er während seines Dienstes gegen 5.45 Uhr aus einem Raum der kardiologischen Station unbefugterweise eine 1 TB große Computer-Festplatte an sich. Zu diesem Zeitpunkt wusste er nicht, ob die Festplatte funktionsfähig war oder nicht. Er vermutete, dass die Festplatte noch verwendungsfähig war. Erst nachdem er diese technisch überprüfte, stellte er deren Unbrauchbarkeit fest und warf sie weg.
Der Vorfall wurde von einer Überwachungskamera aufgezeichnet. Diese war angebracht worden, weil es zuvor immer wieder zu verdächtigen Vorfällen und zu Diebstahlsvorwürfen gekommen war. Nachdem der Dienstnehmer aufgrund der Videoaufzeichnung identifziert worden war, wurde er fristlos entlassen.
Ein gegen ihn wegen § 127 StGB eingeleitetes Strafverfahren wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt. Seine Entlassung sei ungerechtfertigt gewesen ‒ so der Dienstnehmer ‒ weil
Urteilen Sie:
War die Entlassung gerechtfertigt?
Die Lösungen
Fall 1: Teilnahme an Fußballturnier während des Krankenstandes
OLG Linz 19. 7. 2017, 12 Ra 40/17i
Daher ist der Entlassungsgrund der beharrlichen Pflilichtverletzung (= der in diesem Fall maßgebliche Entlassungsgrund für Arbeiter) gemäß § 82 lit f 2. Fall GewO nicht erfüllt.
Eine beharrliche Pflichtverletzung setzt Verschulden voraus, das im konkreten Fall nicht vorlag.
Soweit ganz vereinzelt bei ungerechtfertigter vorzeitiger Auflösung die Mitverschuldensregel angewendet werden kann, muss ein zusätzliches für den vorzeitigen Beendigungsausspruch ursächliches schuldhaftes Verhalten ‒ in konkreten Fall des Dienstnehmers ‒ vorliegen (vgl OGH 29. 8. 2002, 8 ObA 41/02s).
Erweckt das Verhalten des Dienstnehmers objektiv den Anschein, es sei pflichtwidrig (zB genesungsschädliches Verhalten im
Krankenstand), dann hat der Dienstnehmer die Verpflichtung, den Dienstgeber darüber aufzuklären, dass kein pflichtwidriges Verhalten vorliegt – ABER diese Verpflichtung gilt nur dann, wenn dem Dienstnehmer bekannt ist, dass der Dienstgeber von dem scheinbar pflichtwidrigen Verhalten Kenntnis hat.
In folgenden Fällen hätte der Dienstnehmer den Dienstgeber aufklären müssen (= Aufklärungspflicht ⇒ Hinweis, dass die Teilnahme am Fußballturnier vom Hausarzt befürwortet wird):
Im konkreten Fall bestand seitens des kranken Dienstnehmers aber keine Dienstgeber-Aufklärungspflicht, weil keine der 3 zuvor genannten Fälle vorgelegen haben.
Dem Dienstnehmer war somit nicht bekannt ist, dass der Dienstgeber von seinem objektiv den Anschein der Pflichtwidrigkeit erweckenden Verhalten weiß oder erfahren wird, und deshalb bestand auch keine Dienstgeber-Aufklärungspflicht.
Daraus folgt: Den Dienstnehmer traf kein Mitverschulden an seiner ungerechtfertigten Entlassung.
Fall 2: Krankgeschriebene Dienstnehmerin arbeitet außerhalb der Ausgehzeiten im Geschäft der kürzlich verstorbenen Mutter
OLG Wien 22. 6. 2017, 9 Ra 33/17i
Was der Dienstgeber zum Zeitpunkt der Entlassung nicht wusste, war:
Nach Ansicht des OLG Wien war – aufgrund der besonderen Umstände – die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nicht gegeben ⇒ die Entlassung war unberechtigt
Begründungen:
- Die Zeit, die die Dienstnehmerin im Geschäft der verstorbenen Mutter in Anwesenheit des Vaters verbracht hat, hat den gegenständlichen Krankenstand nicht verlängert.
- Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Dienstnehmerin ein Verhalten gesetzt hat, das geeignet war, ihren Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen und/oder den Heilungsverlauf zu gefährden.
- Vielmehr war anzunehmen, dass die Dienstnehmerin, wenn sie zu Hause geblieben wäre und den Vater allein gelassen hätte, mehr in Sorge gewesen wäre, sodass diese weiteren Stressoren den Krankheitsverlauf verschlechtert hätten.
Fall 3: Medizintechniker nahm die gebrauchte Festplatte eine Kunden unbefugt mit
OLG Wien 27. 7. 2017, 8 Ra 119/16b, 8 Ra 120/16z
Nach Ansicht des OLG Wien war – aufgrund der besonderen Umstände – die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nicht gegeben ⇒ die Entlassung war unberechtigt
- Ob die Wegnahme einer gebrauchten Festplatte, die sich in der Folge als funktionsuntauglich herausstellte den Tatbestand des Diebstahls nach 127 StGB erfüllt, ist im vorliegenden Fall nicht entscheidend.
- Maßgeblich ist, dass der Dienstnehmer eine besondere Vertrauensstellung innehatte, die es ihm erlaubte, sich mittels Generalschlüssels des Kunden des Dienstgebers außerhalb der Betriebszeiten Zutritt zu sämtlichen Räumlichkeiten des AKH-Wien und den dort vorhandenen technischen Geräten zu verschaffen.
- Die Interessen des Dienstgebers sind erheblich gefährdet. Nicht durch den (geringen) Wert der Festplatte, die er unbefugt sich aneignete, sondern weil der Dienstnehmer mit seiner Tat die Geschäftsbeziehung zum Kunden aufs Spiel setzte, indem er seine besonderen Vertrauensstellung ausnützte und heimlich eine im Eigentum des Kunden stehende Sache entwendete.
- Hinzu kommt, dass es sich um einen Datenträger handelte, und jedermann klar sein muss, dass ein solcher schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht in unbefugte Hände gelangen darf.
Bei dieser Sachlage liegt der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit des § 27 Z 1 AngG vor.
Liebes Patka-Team!
Herzlichen Dank für diesen interessanten Beitrag, wobei die Entscheidungen mE teilweise sehr skurril sind.
Auf einen “kosmetischen” Fehler möchte ich Sie noch hinweisen: Bei Fall 3 wurde wohl aus Versehen die Überschrift von Fall 2 nochmals verwendet 🙂
Ich freue mich über weitere spannende Blogbeiträge und verbleibe,
mit freundlichen Grüßen
Liebe Frau Winterauer,
vielen Dank für das aufmerksame Lesen und den Hinweis. Den kosmetischen Fehler haben wir soeben behoben.
Mit lieben Grüßen
Tina Dangl